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    Dauerläufer: Verkaufen oder Halten?

    Wohl jeder Investor wünscht sich, dass irgendwo im eigenen Depot die nächste Apple, Google, Amazon oder Tesla-Aktie schlummert. Die typischen Berechnungen, die wir immer wieder lesen, klingen etwa so: "10.000 Dollar, investiert vor 20 Jahren in Aktie ABC, wären heute zu 2,5 Millionen Dollar geworden." Das Ganze wird mit einem Chart garniert, der die Entwicklung bildlich dokumentieren soll. Und gleichzeitig wird einem dann noch der nächste Tenbagger für einen "schmalen Taler" verkauft. Das Internet ist voll von solchen Verlockungen. 

    Wir haben hier ein solches Beispiel: Aus 10.000 Dollar, investiert in Apple-Aktien am 29. Juni 2001, wären bis zum 27. November 2020 reichlich 2,808 Millionen Dollar geworden. Der Aktienkurs hätte, splitbereinigt, um 27.980 Prozent zugelegt, man hätte seit 2012 in Summe 119.332 Dollar Dividenden kassiert. Insgesamt eine galaktische jährliche Performance von 34,0 Prozent. Falls irgend jemand Bekannte hat, die dieses Ergebnis erzielt haben oder selbst zu den wenigen Glückspilzen gehört - herzlichen Glückwunsch. Ich kenne niemanden. Denn ganz so einfach, wie es auf dem Chart aussieht, ist der Weg zum Wohlstand dann doch nicht. In diesem Video habe ich einige Aspekte diskutiert. 

    Die Diskussion unter diesem Video auf Youtube zeigt, wie uneins man sich über das Halten oder Verkaufen von Dauerläufern sein kann. Wo liegen die Herausforderungen? Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien einige Stolpersteine aufgeführt.

    HIndernis eins: Die falsche Chart-Darstellung.

    Ein Chart wie der oben dargestellte zeigt uns einen nahezu senkrechten Kursanstieg der Apple-Aktie im Verlaufe der vergangenen zwei Jahre, etwa von Januar 2019 bis zur Gegenwart. Schuld daran ist die lineare Chartdarstellung, bei der gleiche absolute Kursgewinne auf der Preisskala in gleichen absoluten Abständen dargestellt werden. Diese Darstellung suggeriert, wir hätten es in den vergangenen 23 Monaten mit einem präzedenzlosen Kursanstieg zu tun und die Gefahr eines Kurssturzes ins Bodenlose sei folglich riesig. Richtiger wäre es, in der langfristigen Betrachtung einen halblogarithmischen Chart zu verwenden. Bei dieser Darstellung werden gleiche prozentuale Kursgewinne auf der Preisskala in gleichen absoluten Abständen abgebildet. Also beispielsweise eine Verdopplung von 2 auf 4 Dollar wird genau so sichtbar, wie eine Verdopplung von 50 auf 100 Dollar. Bei beiden Kursbewegungen handelt es sich nämlich um einen Anstieg um 100%, auch wenn das in absoluten Zahlen anders aussieht. Und plötzlich verändert sich unser Chart.

    Eine solche Darstellung ist keine reine Kosmetik, sondern sie zeigt sehr deutlich, was im linearen Chart kaum sichtbar ist: Auf dem Weg zum aktuellen Aktienkurs gab es immer wieder dramatische prozentuale Kurseinbrüche. (Anmerkung: FAST-Graphs liefert mir hier leider keine längerfristige logarithmische Rückschau, deswegen differieren die Anfangspunkte um einige Jahre. Das Prinzip sollte aber erkennbar sein). Wie groß sind nun diese Kurseinbrüche tatsächlich? 

    HIndernis zwei: Zwischenzeitliche Drawdowns

    Im obigen Video wurde angesprochen, dass viele sich die Frage nach einem Verkauf ihrer Aktienposition stellen, wenn sich Kurse verdoppelt oder verdreifacht haben. Schließlich ist es riskant, den aufgelaufenen Buchgewinn wieder abzugeben und man könne ja "später" wieder günstiger einsteigen. Was für eine Aktie zumindest theoretisch möglich erscheint, wird für ein Portfolio aus mehreren Titeln schon schwieriger. Und mal ehrlich: Auch eine Apple-Aktie hatte in den vergangenen zwei Jahrzehnten ihre Schwächephasen. 

    Monat Hoch Monat Tief Drawdown-Periode Kurs-Drawdown
    März 2000 1,34$ April 2003 0,23$ 38 Monate -82,8%
    Dezember 2007 7,25$ Januar 2009 2,79$ 14 Monate -61,5%
    September 2012 25,18$ April 2013 13,75$ 8 Monate -45,4%
    April 2015 33,64$ Mai 2016 22,37$ 14 Monate -33,5%
    Oktober 2018 58,37$ Januar 2019 35,50$ 4 Monate -39,2%

    Die Tabelle zeigt jeweils die Monate, in denen ein Hoch vor einer signifikanten Korrektur erreicht wurde, den dazugehörigen Höchstkurs, danach den Monat, in denen ein Tief markiert wurde und wo dieses Tief lag. Schließlich die Dauer der Korrektur vom Hoch zum Tief und den prozentualen Kursrückgang. Die Kurse sind splitbereinigt. Auf einem Monatschart sähe das Ganze so aus. 

    Die spannende Frage ist also: Wie oft in den vergangenen 20 Jahren wäre man aus seiner Apple-Position angesichts von Kursrückgängen von bis zu 82% ausgestiegen? Und wäre man nach dem Platzen der DotCom-Blase oder der großen Finanzkrise 2007 bis 2009 wieder eingestiegen? Hätten wir unser Geld zu diesem Zeitpunkt nicht längst in ein oder mehrere andere Unternehmen investiert, die für uns zum damaligen Zeitpunkt vielversprechender aussahen? Wie oft wurde und wird prophezeit, dass die besten Zeiten für ein Unternehmen vorbei seien? 

    Hindernis drei: Zu geringe Diversifizierung

    Unter Investoren gibt es immer wieder Kontroversen, wie viele Unternehmen ein gut diversifiziertes Portfolio enthalten sollte. Es gibt hier kein Richtig und kein Falsch, weil nicht nur rationale, sondern auch emotionale Faktoren eine Rolle spielen: Ab wie vielen Aktien fühle ich mich überfordert mit dem Depotmanagement? Ab welcher Einzelpositionsgröße fühle ich mich unwohl mit einem Investment? Wer 50 Positionen verwaltet, hat mehr Arbeit als jemand, der fünf Positionen hält. Wenn die fünf Einzelpositionen jeweils 100.000 Euro groß sind, dann belastet ein 50%-Kursrückgang in einer Aktie mehr, als wenn bei 50 Einzelpositionen von je 10.000 Euro eine Aktie um 50% fällt. Selbst ein "Fokus-Investor" wie Warren Buffett, ein erklärter Gegner von Diversifizierung um der Diversifizierung willen, hält inzwischen in seinem Portfolio mehr als 80 Unternehmen. Er hat nicht eine Fluglinie gekauft (und inzwischen wieder verkauft), sondern vier. Er hat im zurückliegenden Quartal auch nicht ein Unternehmen aus der Gesundheitsbranche gekauft, sondern etwa ein halbes Dutzend. Warum wohl? Weil selbst ein Warren Buffett nicht weiß, welches Pharmaunternehmen zukünftig das beste sein wird. Er kauft also einen ganzen Korb von Unternehmen. Statt nach einer Stecknadel im Heuhaufen zu suchen, kauft er den Heuhaufen. Bei 100 verschiedenen Positionen ist die Wahrscheinlichkeit größer, einen Tenbagger dabei zu haben, als bei einem Depot aus zehn Positionen. 

    Hindernis vier: Unser nicht-mathematischer Verstand

    Unser Gehirn ist nicht in der Lage, in exponentiellen Funktionen zu denken. Das hat nichts mit Intelligenz oder deren Fehlen zu tun, sondern es war in den zurückliegenden 100.000 Jahren schlicht nicht notwendig. Folglich hat "Mütterchen Evolution" uns nur mit dem linearen, nicht exponentiell mathematischen Denken ausgestattet. Sobald wir auf mathematische Sachverhalte stoßen, schätzen wir, wenden Heuristiken, Daumenregeln, an. Und selbst, wenn wir mittels Computer und Tabellenkalkulation ein Ergebnis berechnen, neigen wir dazu, dieses in Frage zu stellen, weil es unsere Vorstellungskraft sprengt. Kostprobe gefällig?

    Bleiben wir bei Apple: Angenommen, ein unbedarfter Buy-and-Hold-Investor hätte im Jahre 2000 jeweils 1.000 Dollar in 100 verschiedene, vielversprechende Technologieunternehmen investiert, darunter auch Apple. Technologie war in zu jener Zeit - die Blase war gerade am Platzen, aber Menschen drängten sich an den Bankschaltern, um Neuemissionen zu zeichnen. Splittbereinigt hätte er zum Geschäftsjahresende des Jahres 2000 für eine Aktie 0,46 Dollar bezahlt und somit etwa 2.174 Aktien erwerben können.

    Angenommen, 99 dieser Unternehmen wären 20 Jahre später, nach dem Platzen der DotCom-Blase, nach Finanzkrise und Corona-Crash vom Kurszettel verschwunden. Unser Investor hätte also 99.000 von 100.000 investierten Dollars verloren. Traurig, aber so etwas passiert andauernd.

    Die 1.000 Dollar, investiert in 2.174 Apple-Aktien, wären aber inzwischen laut FAST-Graphs zu mehr als 253.566 Dollar geworden. Dieses Vermögen allein gleicht die Verluste mehr als aus.  

    Das beste aber: Apple zahlt augenblicklich 0,82 Dollar Dividende im Jahr bzw. 0,205 Dollar im Quartal. Unser glückloser Investor, der 99% seiner Investments verloren hat, würde heute alle 90 Tage eine Dividendengutschrift von etwa 445 Dollar brutto bekommen - bzw. rund 1782 Dollar jährlich. Natürlich wäre das noch zu versteuern. Aber die Bruttorendite läge heute bei jährlich mehr als 178% der ursprünglich investierten Summe. Und zwar ohne auch nur eine einzige Dividende zu reinvestieren oder irgend eine Transaktion durchgeführt zu haben.

    Ganz ehrlich: Glauben Sie das? Wahrscheinlich nicht. Rechnen Sie nach. Mathematisch sollte die Berechnung korrekt sein. Ich habe dem Ergebnis auch nicht geglaubt und die Zahlen daher im Aktienfinder überprüft. Siehe da: Ich komme zu Zahlen, die sich kaum unterscheiden. 

    Das Ergebnis erscheint so unglaublich, dass es unsere Vorstellungskraft sprengt. Wir checken intuitiv unseren Bekanntenkreis, unseren gesamten Erfahrungshorizont, und stellen fest: Wir kennen niemanden, bei dem das jemals funktioniert hätte. Folglich kann es nicht wahr sein und wir erfinden Narrative (Geschichten), die unsere Erfahrungen untermauern: "Hätte, hätte, Fahrradkette..." Und falls wir doch jemanden kennen, der Apple vor 20 Jahren gekauft hat und sie immer noch hält (oder auch Amazon, Google oder Microsoft), betrachten wir die Person als die berühmte "Ausnahme von der Regel", die Erfolge als Zufall oder Glück. Schließlich sind Märkte bekanntlich effizient. 

    Meine persönliche Schlussfolgerung, die aber keinerlei Empfehlung darstellt: Solange die fundamentalen Daten eines Unternehmens nicht dagegen sprechen, halte ich nach Möglichkeit an Kursverdopplern fest. Die großen Renditekiller sind schließlich nicht umsonst häufiger Kapitalumschlag, Timing-Versuche, hohe Transaktionskosten, Steuern. Vielleicht haben wir die nächste Apple ja schon längst im Depot. Wissen werden wir es aber erst in 30 Jahren.

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    Kommentare: 3
    • #1

      Peter (Samstag, 19 Dezember 2020 10:39)

      Danke für den interessanten Artikel!

    • #2

      Hans (Mittwoch, 14 Juli 2021 14:17)

      Wie erkenne ich daß es sich bei einem Einzelwert zukünftig um einen langjährigen Dauerläufer handelt?

      Dies auch angesichts der Erkenntnisse von Prof. Bessembinder daß lediglich 4% aller seit 1926 jemals im S&P 500 gelisteten Unternehmen für die gesamte Mehrperformance von Aktien gegenüber Staatsanleihen verantwortlich sind:

      https://www.nzz.ch/finanzen/groesse-versus-wert-die-groessten-irrtuemer-bei-wachstumsaktien-ld.1460867

      Genau dies nämlich ist der Grund weshalb Stockpicking so schwierig ist. Und selbst die Dauerläufer - Aktien mit langfristig überragenden Renditen haben zwischendurch heftige Rücksetzer wie dargestellt.

    • #3

      Lehrgeld (Mittwoch, 14 Juli 2021 14:47)

      „Es kann nicht oft genug wiederholt werden, dass Stock Picking die meisten Anleger unnötig und nicht empfehlenswert ist. Die Tatsache, dass die meisten professionellen Anleger schlechte Stock Picker sind, bedeutet nicht, dass Amateure darin erfolgreicher sind. Die große Mehrheit an Leuten, die sich an Stock Picking versuchen, realisieren, dass sie dabei nicht so kompetent sind, wie sie ursprünglich glaubten; die Glückspilze unter ihnen entdecken dies schon früh, während die weniger Glücklichen Jahre für diesen Lernprozess brauchen. Ein kleiner Prozentsatz von Investoren kann mit Stock Picking erfolgreich sein. Alle anderen würden besser fahren, wenn sie sich Hilfe holen, idealerweise in Form eines Indexfonds.“

      Benjamin Graham

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